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Freimaurerei konkret

Aufklärerische Kernwerte

Die Ideale, in denen alle Freimaurer aller Lehrarten übereinstimmen sollen, sind Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit (in ihrer geschlechtsneutralen Bedeutung), Menschenliebe (Humanität) und Toleranz. Diese Kernwerte finden sich nicht zufällig sehr prominent in der Philosophie der Denker der Aufklärung von John Locke über Immanuel Kant bis zu Karl Popper und Hannah Arendt wieder. Utopisches Ziel dieser Denkart ist der von Fremdbestimmung freie, aus eigener denkender Souveränität seinen Mitmenschen gegenüber verantwortlich handelnde Mensch. In der praktischen Freimaurerei spielen Gleichheit, also die voraussetzungs- und vorbehaltlose Begegnung auf Augenhöhe, Brüderlichkeit und Toleranz eine besonders wichtige Rolle.

Das Rüstzeug von Aufklärung und Humanität, das den Absolutismus überwand, die moderne Demokratie begründete und die Religion vom klerikalen Alleinvertretungsanspruch in die Gewissensfreiheit des Einzelnen überführte, ist seinerseits Grundlage der von den Vereinten Nationen feierlich deklarierten Menschenrechte und der modernen demokratischen Gewaltenteilung. Das deutsche Grundgesetz ist eine der geglücktesten Umsetzungen der Ideen der Aufklärung, die auch die Kernideale der Freimaurerei bilden. Der deutsche Freimaurer kann glücklicherweise in vollständigem Einklang mit seiner staatlichen Ordnung leben.

Die Freimaurerei strebt nicht als Institution nach direkter Umsetzung dieser Werte. Auch wäre es falsch, Positionen und Wirken bekannter Freimaurer mit „der Freimaurerei“ gleichzusetzen. Die Grundidee der Freimaurerei zielt als Methode einzig auf die individuelle Vervollkommnung des einzelnen Freimaurers und als Geisteshaltung auf die allgemeine Förderung humanistischer und aufklärerischer Ideale. Als solche beherbergt sie eine sehr große Bandbreite von Vorstellungen und Weltanschauungen. Niemand, auch kein Freimaurer, ist berechtigt, namens „der Freimaurerei“ zu sprechen oder zu handeln. Bis heute äußern sich auch freimaurerische Institutionen nur in sehr seltenen, gut begründeten Ausnahmefällen zum Tagesgeschehen.

Die Freimaurerei hütet und pflegt vielmehr das Instrumentarium, mit dem der einzelne Freimaurer sich mit der Hilfe seiner Brüder selbst mit Blick auf freimaurerisch-aufklärerische Werte zu vervollkommnen trachtet und bietet mit der Loge den Schutzraum dafür. Im Sinne der kantschen Aufklärung versucht sie so, den einzelnen Freimaurer weiterzuentwickeln, damit dieser fortschrittlich-humanistische Werte eigenverantwortlich - und keineswegs im Namen der Freimaurerei! - in der Gesellschaft fördern kann.

Das „supreme being“

Die Englische Großloge UGLoE ist die allseits akzeptierte Hüterin freimaurerischer Werte, die Lehrarten als regulär akzeptiert oder als irregulär ablehnt. Diese Institution verlangt von den Brüdern aller Mitgliedsgroßlogen das Bekenntnis zu einem „supreme being“. Nach allgemeiner Interpretation muss das aber kein konkreter Gott sein, an den geglaubt wird. Der englische Begriff „being“ kann mit Wesen, aber auch als Dasein oder Daseinsform übersetzt werden. Damit können in erweiterter deistischer Interpretation dieser Regularien neben Christen, Moslems, Hindus usw. also durchaus auch Atheisten und Agnostiker Freimaurer sein, solange sie keine Nihilisten sind.

Es sei nicht verschwiegen, dass u. a. dieses ein zentraler Streitpunkt zwischen der Englischen Großloge und dem französischen Grand Orient de France ist, was bereits 1913 zur Aberkennung der Regularität dieses mit heute gut 45.000 Mitgliedern nicht eben kleinen Freimaurerverbundes führte. Regularität ist aber Voraussetzung für Freizügigkeit. Brüder aus Logen, die die UGLoE als regulär anerkennt, können nicht mit Mitgliedern irregulärer Logen freimaurerisch verkehren, ohne die eigene Regularität zu gefährden.

United Grand Lodge of England (UGLoE)

Alte Pflichten

Die konkrete Ausgestaltung des Logenlebens und der freimaurerischen Praxis allgemein ist durch die sogenannten „Alten Pflichten“ geregelt, einer Art freimaurerischer Verfassung, die bereits 1723 in der prinzipiell noch heute gültigen Fassung erschien. Die Forschung geht heute davon aus, dass zumindest Teile dieses von dem Geistlichen James Anderson im Auftrag der gerade gegründeten ersten englischen Großloge formulierten Regelwerkes noch deutlich älter sind.

Die „Alten Pflichten“ regeln in und außerhalb der Loge den Umgang der Brüder Freimaurer miteinander und legen zentrale Punkte der freimaurerischen Arbeit fest. Der Freimaurer arbeitet einzig an sich selbst und wirkt auf seine Brüder ausschließlich durch das Beispiel ein, das er gibt. Ob und in welchem Maße andere Brüder diesem Beispiel folgen, ist allein deren Sache. Auch gibt es die Vorgabe, in der Loge weder über konfessionelle noch über parteipolitische Themen zu streiten, die Diskussion religiöser oder philosophischer Themen und die Erörterung zeitgeschichtlicher Sachverhalte sind dagegen ausdrücklich zugelassen.

Insgesamt versuchen die „Alten Pflichten“ seit bald 300 Jahren bemerkenswert erfolgreich, die natürlich auch in der Freimaurerei gegenwärtigen Spitzen menschlichen Unvermögens abzubiegen, einem fruchtbaren Logenleben im Wechsel der Zeiten aber gleichzeitig allen nötigen Freiraum zu lassen.

Die „Alten Pflichten” von James Anderson aus dem Jahre 1723

Die Loge

Die Loge ist ein entscheidendes Element der Freimaurerei. Jeder Bruder Freimaurer ist aufgerufen, stets und überall an sich zu arbeiten. In wöchentlichen oder zweiwöchentlichen Zusammenkünften in der Loge arbeiten die Brüder jedoch regelmäßig zusammen. Die Loge ist auch der Ort, an dem freimaurerisches Wissen weitergegeben wird. Die gemeinsame Tempelarbeit, Werkabende zu freimaurerischen oder philosophischen Themen, Bruderabende und Kerzengespräche stehen regelmäßig auf dem Programm.

Die einzigartige freimaurerische Gesprächskultur trachtet danach, jeden äußeren Druck vom Einzelnen fernzuhalten und ihm so zu ermöglichen, sich frei und ganz als er selbst zu äußern. Suchende, die das auf einem Gästeabend zum ersten Mal erleben, schildern das als ebenso wohltuend wie beeindruckend. Auch Geselligkeit vor und nach den eigentlichen Arbeiten im Logenhaus ist wichtiger Bestandteil des Logenlebens, ebenso wie ein oder zwei Mal im Jahr gemeinsame Feiern und Unternehmungen der Brüder mit den jeweiligen Lebenspartnern.

Eine Grundidee der Freimaurerloge ist, dass sich hier Menschen begegnen sollen, die sich aufgrund ihrer sozialen Stellung, Berufstätigkeit, Religion, oder aufgrund ihres Alters im normalen Leben wahrscheinlich nicht begegnen würden. So erfüllt die Loge die heute seltene Funktion einer viele soziale Milieus übergreifenden Begegnungsstätte.

Symbolik und Methodik

Für die gemeinsame Arbeit in der Loge haben sich in Jahrhunderten besondere Techniken herausgebildet. Insbesondere ist die an ursprüngliche Steinmetzwerkzeuge und alttestamentarische Texte angelehnte Symbolik zu nennen, die, nun in den Kontext der Arbeit am Selbst gestellt, immer neue und individuelle, oft überraschend erhellende Interpretationen ermöglicht. Darüber hinaus spiegeln die Arbeitstechniken der Freimaurer - von der Tempelarbeit über den Werkabend bis zum Kerzengespräch - Jahrhunderte altes Wissen darum wieder, wie man Menschen Orientierung und Befähigung zu Eigenverantwortlichkeit vermitteln kann, ohne ihre Freiheit einzuengen. Dogmen, Denkverbote und Denkgebote sind der Freimaurerei wesensfremd.

Vergleicht man freimaurerische Arbeiten mit zeitgenössischen Techniken der Selbstoptimierung und des Selbstmanagement, so entdeckt man darin viele modern anmutende Ansätze. Im Gegensatz zu manchem aktuellen Kursangebot stellt die freimaurerische Methodik jedoch kompromisslos den Menschen selbst in den Mittelpunkt, nicht sein Funktionieren im Wirtschaftskreislauf.

Tempelarbeiten finden häufiger statt als die anderen Arbeitsformen. Das festliche Ritual hilft dem Freimaurer, die vom modernen Alltag aufgezwungenen Selbstbezogenheit auszublenden. Sich so zu verlieren ermöglicht ihm erst, sich auf einer höheren Ebene neu zu finden.

Aus gutem Grund bezeichnen Freimaurer ihre Loge bisweilen auch als „Mentales Fitnessstudio“.

Das „freimaurerische Geheimnis“

Viele Freimaurer erkennen, dass sie die Freimaurerei mit der Zeit zum Positiven verändert hat. Je nach Ausgangslage des Einzelnen wirkt die Maurerei aber an jeweils anderen Ansatzpunkten und unterschiedlich stark ein. Da gibt es keinen vorgezeichneten Weg. Jeder Freimaurer geht vielmehr seinen eigenen, einzigartigen Weg.

Letztendlich erarbeitet sich jeder Freimaurer also sein eigenes, nicht auf andere übertragbares „freimaurerisches Geheimnis“. Genau so wenig, wie ein Liebender das Geheimnis der Liebe allgemeingültig benennen könnte, kann ein Freimaurer ein „freimaurerisches Geheimnis“ verkünden.

Verschwiegenheit

Die Arbeit am Selbst mithilfe der Brüder gelingt nur durch Öffnung. In der Loge sind daher unter den Brüdern großes Vertrauen und rückhaltlose Offenheit erwünscht und notwendig. Jeder Bruder kann frei entscheiden, wie weit er dabei gehen mag. Je größer aber Vertrauen und Offenheit sind, desto erfolgreicher kann die Arbeit in der Loge für den Einzelnen sein.

Im Gegenzug müssen Vertrauen und Offenheit wirksam dadurch geschützt sein, dass nichts aus der Loge nach außen dringt. Kein Bruder wird daher außerhalb der Loge etwas ausplaudern, das ein Bruder ihm in der Loge anvertraut hat. Das schließt ein, das kein Freimaurer einen anderen Freimaurer „outen“, also ohne dessen ausdrückliche Zustimmung als Freimaurer benennen wird.

Der „Schutzraum Loge“ ist der eigentliche Grund für die Verschwiegenheit des Freimaurers, die so gerne als Geheimniskrämerei wahrgenommen wird. Auch mit dem „freimaurerischen Geheimnis“ hat das also nichts zu tun. Mit dem konsequenten Schweigen über Einzelheiten des freimaurerischen Rituals, das keinen Selbstzweck verfolgt, übt der Freimaurer die Fähigkeit zur Verschwiegenheit ein.

Weltbruderkette

Der Begriff der „Weltbruderkette der Freimaurer“ versinnbildlicht die Tatsache, dass alle Freimaurer gleiche Grundwerte teilen und in dem Ziel übereinstimmen, den „Tempelbau der Humanität“ zu fördern. Daher begegnet jeder Freimaurer einem anderen Bruder Freimaurer, unabhängig von dessen Lehrart oder Stellung im profanen oder im maurerischen Leben mit einem größtmöglichen Vertrauensvorschuss und vorbehaltlos auf Augenhöhe. Die besondere, oft überwältigende Herzlichkeit, in der sich dieses beim Besuch anderer Logen im In- und Ausland immer wieder zeigt, gehört zu den Höhepunkten im Leben eines jeden Freimaurers.

Freimaurerei heute

Freimaurerei wird heute gerne als ein Relikt angesehen, das sich überlebt hat und das von rückwärtsgewandten Kulturpessimisten als Seniorensport betrieben wird. Das ist grundfalsch.

Freimaurerei ist gerade in unserem digitalen Zeitalter der Eindeutigkeit und des Entweder-Oder hochaktuell. Sie verteidigt und bewahrt, was sich nicht steuern, nicht exakt vermessen oder genau vorausberechnen lässt: Geheimnis, Spiritualität, Poesie, Schönheit, Mystik, auch Vertrauen und Freundschaft. Freimaurerei bereichert das Leben der Brüder und Schwestern, indem sie neu lehrt, im erzwungenen Umweg die weiterführende Erfahrung, im krachenden Scheitern die unverhoffte Chance und im blöden Zufall den hoffnungsvollen Weg zu sehen. Dazu bietet sie das bewährte, zeitlose und reichhaltige Instrumentarium freimaurerischer Symbole, Traditionen und Techniken.

Ohne Technologie zu verteufeln, bietet Freimaurerei dem modernen Menschen einen seit Jahrhunderten erprobten und gerade heute wichtigen Weg, in seinem Leben wieder Momente der Wahrheit und der Ewigkeit zuzulassen.

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Nächster Gästeabend: 10. April 2025